Die Bestätigung, dass es sich beim Verursacher des Risses tatsächlich um einen Wolf, genauer genommen um eine Wölfin handelt, hat in der Region, in der auch viele Naturschutzflächen durch Weidetiere gepflegt werden, für einige Unruhe gesorgt. Für wenig Verständnis sorgte auch die Tatsache, dass die Ergebnisse der genetischen Untersuchung der Speichelproben bereits seit Ostern den Behörden vorlagen, aber erst durch die Pressemeldung „Wolf in Licherode bestätigt“ des LJV an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Da es im Kreis Hersfeld-Rotenburg und in den Nachbarkreisen Vogelsberg, Fulda und Werra-Meißner zu weiteren bestätigten Rissen und Sichtungen gekommen ist und das Thema in der Region sehr intensiv und kontrovers diskutiert wird, hatte das Umweltbildungszentrum (UBZ) Licherode am Freitag, dem 28.06.2019, zum Wolfsforum eingeladen. Im Rahmen von fünf Fachvorträgen sollte das Thema Wolf von unterschiedlichen Seiten betrachtet werden, um im Anschluss die „Chancen und Risiken der Anwesenheit des Wolfes zu erörtern und eine gesellschaftliche Haltung zum Rückkehrer Wolf zu suchen“.
Die sehr gut besuchte Veranstaltung begann mit einer kurzen Lesung durch Harald Kühn vom Landhaus Licherode aus dem Märchen „Rötkäppchen und der Wolf“, bevor Stefan Ross, Wildbiologe und Umweltpädagoge des UBZ Licherode die Biologie und Ökologie des Wolfes erläuterte. Dr. Wolfgang Fröhlich, Leiter des Naturzentrums Wildpark Knüll, ging in seinem Anschlussvortrag auf die aktuelle Situation des Wolfes in Deutschland ein und nannte Zahlen und Fakten zur derzeitigen deutschen Wolfspopulation. Der dritte Vortrag wurde von Thilo von und zu Gilsa gehalten. Der Waldbesitzer und Anbieter von Jagdreisen schilderte die Situation der Wölfe und den Umgang mit diesen Tieren in Weißrussland. Anders als in Deutschland sei das Thema „Wolf“ in Weißrussland nicht politisch besetzt, dadurch werden die Diskussionen um den Wolf und die Wolfsjagd neutraler geführt und sind weniger emotional. In dem osteuropäischen Land wird der Wolf, vor allem von der einheimischen Bevölkerung, ganz legal bejagt. Dadurch ziehe der Wolf sich in ruhige Rückzugsgebiete zurück und bleibt Menschen gegenüber sehr scheu. Für die Situation in Deutschland fordert von und zu Gilsa die Ausweisung von Wolfsgebieten, ähnlich wie beim Rotwild. In den Wolfsgebieten müssen die Weidetierhalter besonders unterstützt werden, während die Ansiedelung von Wölfen außerhalb dieser Gebiete durch eine Bejagung verhindert werden sollte. In seinem Schlusswort forderte er auf, die Konflikte gemeinsam zu lösen.
Klaus-Ulrich Battefeld von der Obersten Naturschutzbehörde stellte in seinem Vortrag mit dem Untertitel „Fakten statt Facebook“ die Sichtweise des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Wolf dar. Er berichtete von mehreren Falschmeldungen und sogar Fälschungen die eine mögliche Anwesenheit des Wolfes in Hessen nahelegen sollen. Anhand von Beispielen verwies Battefeld zudem auf das Wanderverhalten der Tiere. So können Wölfe, die an einem Ort gesichtet werden oder einen Riss verursachen schon wenige Tage später an Orten in vielen Kilometern Entfernung sein. Bei Rissen an Weidetieren sollte zudem bedacht werden, dass bei einer Freilandhaltung sowieso mit einem Verlust von 5-10 % des Bestandes zu rechnen ist. Der Anteil an gerissenen Tieren sei deutlich geringer. Beim Herdenschutz setze das Ministerium weniger auf Aufrüstung in Form von immer höheren Zäunen, sondern in Sicherung der Weidetiere durch Elektrozäune. Die Wölfe müssen den Schmerz durch den elektrischen Schlag mit den Weidetieren in Verbindung bringen. In Hessen bestehe ein mögliches Potential für die Ansiedelung von ca. 30 Rudeln mit insgesamt ca. 300 Tieren, so Battefeld. Günstige Lebensbedingungen für einen möglichen festen Aufenthalt von Wölfen bieten vor allem die verkehrsarmen, unzerschnittenen Waldgebiete wie der Knüll, der Kellerwald, das Rothaargebirge, der Burgwald, der Reinhardswald, etc.
Der letzte Vortrag des Abends wurde von Hubert Dissen gehalten. Der Schafhalter und 2. Vorsitzende des Hessischen Verbandes für Schafzucht und – haltung e.V. schilderte zunächst die Situation der Schafhalter. Schäfer leben schon lange nicht mehr von den Schafen, also von dem Verkauf des Fleisches und der Wolle, sondern sichern ihr Einkommen vor allem aus der Beweidung von Naturschutzflächen. Dadurch leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt, denn die ist in diesem Maße nur im Offenland anzutreffen. Eine wolfssichere Absicherung dieser Flächen sei jedoch fast nicht möglich. Hinsichtlich des oft erwähnten Argumentes, er müsse seine Tiere ja auch vor wildernden Hunden schützen, antwortete Dissen, dass diese, anders als Wölfe, gut in den Griff zu bekommen sind. Das Hundeproblem sei schnell gelöst, die Wölfe habe er 365 Tage lang. Auch die Vergleiche mit der Situation in anderen Ländern sieht Dissen kritisch. Anders als in Rumänien haben wir in Deutschland eine Kulturlandschaft. Sehr empört äußerte sich Dissen auch über den Vergleich von möglichen Weidetierverlusten durch den Wolf mit den Verlusten, die im Rahmen der Freilandhaltung sowieso entstehen. Dieser Vergleich sei unverschämt und frech.
Im Rahmen der teilweise sehr hitzig geführten Diskussion schilderten einige Kleinschafhalter nochmals ihre Nöte und hoben die Bedeutung der Kleinschafhalter für den örtlichen Naturschutz insbesondere auf kleinen Flächen hervor. Die Kosten für die Anpassung an den Wolf seien für Nebenerwerbslandwirte wirtschaftlich nicht tragbar.
Einige Teilnehmer sehen Hinweise für einen weiteren Wolf und vermuten, dass sich in der Region zwei Wölfe fest angesiedelt haben. Sie bezweifeln die offiziellen Aussagen, dass es sich in Hessen derzeit nur um durchziehende Wölfe handelt. Battefeld erwiderte, dass es bisher keine Erkenntnisse über einen oder mehrere ortsfeste Wölfe in der Region gibt. Als ortsfest gilt ein Wolf auch erst dann, wenn es mindestens ein halbes Jahr lang Nachweise für seine Anwesenheit gibt. Sollte sich an den Erkenntnissen etwas ändern, würde das HMUKLV dies sofort mitteilen.
Im Zusammenhang mit möglichen Sichtungen und Nachweisen von Wölfen kritisierte Battefeld auch die Kommunikation mit der Jägerschaft, die in seinen Augen gruselig ist.
Werner Rehwald, Jagdpächter aus Kathus und Melder des ersten bestätigten Risses bzw. Nachweises eines Wolfes in diesem Jahr, kritisierte die schlechte Kommunikation mit dem HLNUG und dem HMUKLV und fühlte sich bei seiner Meldung des möglichen Risses an einem Reh Ende Februar nicht ernst genommen. Nur aufgrund seiner Hartnäckigkeit sei es zu einer genetischen Untersuchung der genommenen Speichelproben gekommen.
Dr. Rudolf Leinweber, Vizepräsident des Landesjagdverbandes, forderte, dass die Nöte und Sorgen der Leute vor Ort besser aufgenommen und gehört werden sollten.
Text: Dr. Nadine Stöveken