Aus diesem Grund rief der Hessische Verband für Schafzucht und -haltung e. V. am Mittwoch, 15.01.2020 zu einer Demonstration auf und fordert von der Politik u. a. ein bundeseinheitliches Wildtiermanagement, die Definition einer Bestandsobergröße für Wölfe in Deutschland, die Erstattung zusätzlicher Aufwendungen z. B. für verstärkte Zäune, eine Rechtssicherheit beim Einsatz von Herdenschutzhunden sowie eine zügige Entnahme von Wolfshybriden und auf Weidetiere spezialisierte Wölfe.
In Deutschland gebe es noch ca. 900 Berufsschäfer, in Hessen nur noch 75. Gerade die Kleinschäfer, die selbst nicht als Hobbyschäfer bezeichnet werden möchten, sind häufig besonders betroffen, dort wo sich der Wolf weiter ausbreitet. Doch gerade diese Kleinbetriebe halten oft selten gewordene alte Haustierrassen und diese dürften nicht aussterben, nur weil die Schäferinnen und Schäfer irgendwann resigniert aufgeben.
Daher fordert der Verband eine transparente Darstellung zum Wolfsvorkommen, Forschungsaktivitäten zum Herdenschutz und die Zukunftssicherung der Weidetierhaltung in Hessen.
Der Landesjagdverband Hessen unterstützte die Weidetierhalter bei der Demonstration in Wiesbaden.
LJV-Pressesprecher Markus Stifter:
„Liebe Schafzüchterinnen und Schafzüchter,
liebe Schäferinnen und Schäfer,
der Landesjagdverband Hessen unterstützt heute gerne ihre Forderungen nach einem sachlichen und wissensbasierten Umgang mit dem Wolf in Hessen.
Als anerkanntem Naturschutzverband liegt uns sowohl der Artenschutz als auch die Biodiversität und insbesondere der Tierschutz am Herzen.
Die Schafhalter und Schafzüchter leisten einen unglaublich wertvollen Beitrag zur Erhaltung des Ökosystems. Nicht nur, dass die Schafe im hohen Norden die Deiche verdichten oder dort den Bewuchs niedrig halten, wo nicht mit schweren landwirtschaftlichen Maschinen gearbeitet werden kann – die Schafe tragen z. B. auch hier in Hessen dazu bei, die Samen seltener Pflanzen zu verbreiten und diese wiederum dienen Insekten als unverzichtbare Nahrungsquelle. Viele Vögel und insbesondere die bodenbrütenden Arten benötigen diese Insekten zum Überleben und der Nahrungskreislauf schließt sich.
In dieses Ökosystem ist nun der Wolf hinzugekommen. Das Vorkommen des Wolfes darf jedoch nicht dazu führen, dass die Schafhaltung eingeschränkt wird oder das Schäferinnen und Schäfer jede Nacht um ihre Tiere bangen müssen.
Auch die Wildschafe – das Muffelwild ¬– ist durch die Übergriffe des Wolfs betroffen. In der Göhrde bei Lüneburg wurde das älteste Mufflon-Vorkommen Deutschlands vom Wolf ausgelöscht und damit auch ein wertvolles Genreservoir.
Es gilt nun eine Allianz aller Weidetier- und Offenlandhalter zu bilden. Nicht nur Schafe und Ziegen sind betroffen, sondern auch Pferde, Ponys und Rinder. Es darf nicht sein, dass die Freilandhaltung unmöglich wird oder alte Haustierrassen wie die Weiße, Gehörnte Heidschnucke, das Rhönschaf oder zum Beispiel das Harzer Hochvieh aussterben.
Als Jäger habe ich schon einige Rehe gesehen, die von wildernden Hunden gerissen wurden und bin sogar einmal durch die Schreie eines jungen Rehs unfreiwillig Augenzeuge eines Risses geworden. Der Anblick ist schockierend und das Leiden der Tiere und insbesondere die Panik in einer Schafherde beim Eindringen eines Wolfes ist unvorstellbar groß. Was es für sie alle bedeuten mag, am nächsten Morgen auf die Weide zu kommen und mehrere tote Schafe oder Ziegen aufzufinden, vielleicht noch zahlreiche verletzte Tiere zu erlösen, vermag ich mir kaum vorzustellen.
Wenn dies so weitergeht, ist die Schaf- und Ziegenhaltung oder sogar die Offenlandhaltung vieler anderer Nutztiere in Verbindung mit dem Wolfsaufkommen in Gefahr – mit allen negativen Auswirkungen auf die Flora und Fauna in Hessen. Das möchten wir nicht und deshalb dürfen es auch nicht zulassen.
Statt Ideologien oder falsch verstandener Naturromantik müssen nun endlich Lösungen gefunden werden, die den Herdenschutz sicherstellen und es ermöglichen, auffällige und gefährliche Wölfe sowie Wolfshybriden ohne lange Entscheidungswege und hohen bürokratischem Aufwand zu entnehmen.
Nach Ansicht des Deutschen Jagdverbands, die auf Aussagen von Wissenschaftlern gestützt ist, ist der „günstige Erhaltungszustand“ des Wolfes in Deutschland längst erreicht. Nach Hochrechnungen des DJV leben im kommenden Frühsommer bereits knapp 1.800 Wölfe in Deutschland. Bei einer jährlichen Populationszuwachsrate von 35 Prozent verdoppelt sich alle drei Jahre der Wolfsbestand. Analog sind die die Schäden an Nutztieren von 2017 auf 2018 um 35 Prozent gestiegen.
Nach den vorliegenden Zahlen hat sich in Deutschland bereits ein Wolfsbestand etabliert, der weit über dem liegt, was in anderen europäischen Ländern als Gesamtbestand zugelassen wird. Im Nachbarland Frankreich ist beispielsweise eine Obergrenze von 500 Wölfen festgelegt. Ein bundesweites aktives Wolfsmanagement ist daher dringend erforderlich und der Wolf muss ins Jagdrecht aufgenommen werden.
Liebe Schäferinnen und Schäfer, die rund 20.000 organisierten Jägerinnen und Jäger in Hessen und die 250.000 Mitglieder des Deutschen Jagdverbandes stehen nicht nur heute hinter ihnen. Vielerorts bestehen enge Verbindungen zwischen Schafhaltern und Jägern.
Gemeinsam können wir es schaffen, Änderungen herbeizuführen, die nicht nur die Existenzgrundlage der Schafzucht und -haltung sichern, sondern auch die Erhaltung und Verbesserungen unserer Ökosysteme.
Das verstehen wir unter Arten- und Naturschutz und der Biodiversität.“
Die hessische Landwirtschaftsministerin Priska Hinz erklärte, sie möchte die Weidetierhalter bei den zahlreichen Herausforderungen unterstützen.
Höhere Fördermittel und Schaf-Ziegen-Kopfprämie
„Das Forderungspapier des Hessischen Verbands für Schafzucht und -haltung e.V. zeigt auf, wo Probleme liegen und welche Fördermöglichkeiten noch in Angriff genommen werden können. Genau darüber möchten wir mit den Weidetierhaltern sprechen und haben für den 28. Januar zu einem Gespräch ins Landwirtschaftsministerium eingeladen. Die besondere Naturschutzleistung der Schaf- und Ziegenhalter haben wir im Rahmen der Herdenschutzprämie bereits im letztem Jahr auf 31 Euro je Hektar erhöht. Diese Prämie werden wir nun noch einmal anheben. Im Bundesrat haben wir uns außerdem für eine direkt einkommenswirksame Schaf-Ziegen-Kopfprämie eingesetzt. Sollte sie nicht kommen, prüfen wir eine hessische Lösung. Wir möchten gemeinsam mit den Weidetierhaltern Lösungen entwickeln und freuen uns auf den weiteren Austausch“, ergänzt Hinz.
Herdenschutz und Entschädigungen
Ein guter Herdenschutz für Weidetiere ist von zentraler Bedeutung, um das Risiko von Wolfsangriffen zu verringern. Die Zäune müssen ausreichend elektrifiziert sein und die Weide muss zu allen Seiten hin eingezäunt sein, auch dort wo flache Bächen angrenzen. Damit können Wölfe abgeschreckt werden. Alle Weidetierhalter sind aufgerufen, ihre Tiere nach guter fachlicher Praxis zu schützen. Der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) steht den hessischen Weidetierhaltern beratend zur Seite und gibt wertvolle Hinweise, wie ein sicherer Weidezaun gestaltet sein soll. Darüber hinaus ist es wichtig, Herdenschutzmaßnahmen weiterzuentwickeln. Hessen unterstützt daher die Forderung nach einem bundesweiten Herdenschutzzentrum, dass sich dieser Aufgabe widmet.
Bisher gibt es in Hessen nur wenige einzelne Wölfe. Sie ernähren sich überwiegend von Schalenwild, Angriffe auf Tierhaltungen sind die Ausnahme. Sollte es trotz Herdenschutz in Hessen zu einem Schaden durch einen Wolf kommen, erhalten die betroffenen Weidetierhalter unbürokratisch Entschädigung.
Hessen hat frühzeitig ein Wolfsmanagement etabliert, die Herdenschutzprämie erhöht und die Beratung für Weidetierhalterinnen und -halter verstärkt. Der Managementplan wird fortlaufend aktualisiert, um auf eine mögliche Etablierung von Wölfen in Hessen vorbereitet zu sein. Bei der Fortschreibung des Wolfmanagements werden die Schaf- und Ziegenhalter in Hessen eingebunden. Der Termin am 28. Januar bietet dafür eine erste Gelegenheit.
Die Herdenschutzprämie ist eine besondere Förderung für Schaf- und Ziegenhalter (aktuell 31 Euro je Hektar). Dafür stellt das Umweltministerium jährlich 500.000 Euro Landesmittel zusätzlich bereit. Antragsteller verpflichten sich zu einem Herdenschutz nach guter fachlicher Praxis mit täglichen Zaunkontrollen und einer Einzäunung mit einem Elektrozaun in Höhe von mindestens 90 cm (alternativ ein Festzaun in einer Höhe von 120 cm und zusätzlicher Elektroleitung). Damit werden die Schafhalter bei der Erfüllung des Mindeststandards im Herdenschutz unterstützt.
Außerdem können Weidetierhalter von weiteren Förderprogrammen für die Landwirtschaft profitieren:
- Direktzahlungen für landwirtschaftliche Betriebe: Die Direktzahlungen tragen zur Einkommens- und Risikoabsicherung landwirtschaftlicher Betriebe bei und stellen den Schwerpunkt der EU-Agrarförderung dar. Sie gleichen die im weltweiten Vergleich hohen EU-Standards im Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz aus, werden flächenbezogen gewährt und sind grundsätzlich von der landwirtschaftlichen Produktion entkoppelt. Im Rahmen dieses Programms werden verschiedene Prämienkomponenten gewährt, wie z.B. eine Basisprämie von 176 Euro pro Hektar. Für die Erbringung von Umweltleistungen werden zusätzlich zur Basisprämie weitere 85 Euro pro Hektar ausgezahlt.
- HALM (Hessische Agrarumwelt- und Landschaftspflegemaßnahmen): Landwirte, wie auch Weidetierhalter, erhalten einen finanziellen Ausgleich für zusätzliche Kosten oder Ertragsverzicht in Folge einer besonders umweltgerechten Landbewirtschaftung. 2019 hat Hessen hierfür rund 45 Millionen Euro ausgezahlt.
- Ausgleichszulage (AGZ): Die Ausgleichszulage ist ein Förderinstrument zum Erhalt der flächendeckenden Landwirtschaft in den sogenannten benachteiligten Gebieten. Schaf- und Ziegenhaltung findet hauptsächlich in solchen Gebieten statt. Die Standorte zeichnen sich z.B. durch Hangneigungen, besondere klimatische Voraussetzungen oder auch geringe Bodenqualitäten aus. Ziel der Förderung ist es, in benachteiligten Gebieten eine standortgerechte und möglichst flächendeckende Landbewirtschaftung zu sichern. Bei den Fördermitteln handelt es sich überwiegend um EU-Gelder. 2019 wurden 18 Millionen Euro Ausgleichszulage in Hessen ausgezahlt.
- Tierbezogene Prämie bei besonderen Nutztierrassen: Mit der Förderung soll der Fortbestand gefährdeter heimischer Nutztierrassen sichergestellt und damit ihr genetisches Potenzial erhalten werden. Neben den beiden bodenständigen Rinderrassen werden zwei Schafrassen sowie eine Ziegenrasse gefördert. Hessen leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität. Die Höhe der jährlichen Zuwendungen beträgt 200 Euro je förderfähigem Rind und 30 Euro je förderfähigem Schaf oder je förderfähiger Ziege. Folgende Nutztierrassen sind Teil des Programms: Rotes Höhenvieh, Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind, Rhönschaf, Coburger Fuchsschaf und Weiße Deutsche Edelziege.
Weitere Informationen:
Downloads:
Forderungspapier des Hessischen Verbands für Schafzucht und haltung. e.V
Pressemitteilung zur Demonstration am 15.01.2020