LJV-Präsident Prof. Dr. Jürgen Ellenberger begrüßte die rund 35 Teilnehmer und hob insbesondere das Engagement der Hegegemeinschaften hervor, die sowohl durch ihre finanzielle Beteiligung als auch durch die Anlieferung von Geweihstangen oder Gewebeproben die Untersuchung von Prof. Dr. Dr. Gerald Reiner an der Justus-Liebig-Universität Gießen erst möglich gemacht haben. Rolf Becker vom LJV habe die Kontakte hergestellt und das Projekt von seitens des Landesjagdverbandes begleitet.
Reiner zeigte in seinem Vortrag auf, dass es für das Rotwild in Hessen bereits „5 nach 12“ sei und die genetische Vielfalt unseres größten heimischen Säugetieres seit den 1960/80er Jahren deutlich zurückgegangen sei. Unüberwindbare Barrieren wie Autobahnen und Bundesstraßen mit hohen Wildschutzzäunen und Mittelstreifenbebauung sorgten für eine Verinselung der einzelnen Rotwildgebiete und einer ständigen Zunahme des Inzuchtgrades. Dadurch seien die Tiere weniger widerstandsfähig gegenüber Krankheiten oder Umwelteinflüssen. Nun sei in Nordhessen erstmals eine typische Missbildung bei einem Rotwildkalb aufgetreten. Das Tier konnte im Dezember 2018 im Rotwildgebiet Wattenberg-Weidelsburg erlegt werden und wies einen deutlich verkürzten Unterkiefer auf. Vorrangiges Ziel sollte die Wiedervernetzung von Lebensräumen z. B. durch die Gestaltung von Wanderkorridoren, Ruhezonen und dem Bau von Grünbrücken sein. (Sie ausführlicher Bericht auf der Folgeseite).
LJV-Vizepräsident Dr. Rudolf Leinweber moderierte die nachfolgende Diskussion und stellte die klare Positionierung des LJV zu jedem Zeitpunkt des Entstehungsprozesses der Schalenwildrichtlinie dar. Der LJV habe eine ausführliche Stellungnahme zum Entwurf der Schalenwildrichtlinie vorgelegt und dieser in mehreren Punkten vehement widersprochen. Das nun vorliegende Ergebnis der Rotwildgenetikstudie sei eine „Steilvorlage gegen die Ghettoisierung des Rotwildes“. Gerade junge Hirsche, die für den genetischen Austausch zuständig seien, dürften nicht durch eine verstärkte Bejagung am Wechseln zwischen den Rotwildgebieten gehindert werden. Er forderte eine sachliche und faire Aussprache.
Ministerialdirigent Carsten Wilke führte zur Schalenwildrichtlinie aus, die Abschussplanung und -umsetzung hätten eine ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung zu gewährleisten. Verbiss- und Schälschäden hätten dabei eine sehr wichtige Weiserfunktion. In den vergangenen Jahrzehnten sei die Rotwildstrecke stetig angestiegen. Die getätigten Abschüsse lägen in einigen Gebieten unter dem jährlichen Zuwachs. Die Forderung nach einer ordnungsgemäßen forstwirtschaftlichen Bodennutzung sei noch nicht erreicht. In der Schalenwildrichtlinie seien jedoch auch Elemente enthalten, die den Jagdbehörden eine flexible Gestaltung der Abschüsse ermöglichen. Die Jagdbehörden seien letztlich für die Umsetzung der Schalenwildrichtlinie verantwortlich.
Besondere Bedeutung erlangt eine effektive Bejagung des wiederkäuenden Schalenwilds vor dem Hintergrund der gewaltigen Waldschäden im Zuge der Dürre 2018 und der Folgeschäden durch Insekten und der ASP bezogen auf das Schwarzwild.
Auf konkrete Nachfrage einer Hegegemeinschaft, bestätigte Herr Wilke, dass die neue Richtlinie Flexibilitäten enthalte, die auch angewendet werden sollen.
Die bisherigen Regelungen beinhalteten einige Einschränkungen für eine effektive Bejagung ohne Ausdehnung der Jagdzeiten. Die Oberste Jagdbehörde wolle die neue Richtlinie nun wirken sehen. Carsten Wilke räumte ein, es wäre gut gewesen, eine längere Kommunikationsphase zur Verfügung gehabt zu haben.
In der anschließenden Diskussion bemängelten die Teilnehmer den fehlenden wildbiologischen Hintergrund zur Schalenwildrichtlinie sowie eine Herabwürdigung der ehrenamtlichen Arbeit in den Hegegemeinschaften. Der tierschutzgerechte Umgang sowie wildbiologische Erkenntnisse sollten im Vordergrund stehen. Weiterhin liege der Fokus der Schalenwildrichtlinie auf den Hirschen und nicht auf den Zuwachsträgern, dem Kahlwild.
Ellenberger bekräftige daraufhin auf die schon lange erhobene Forderung des LJV nach einer Auflösung der Rotwildgebiete.
Der ehemalige jagdpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Dr. Walter Arnold, verwies darauf, dass die Grenzwerte für die frische Schälschäden unverändert geblieben seien. Über die Erhöhung der Abschusszahlen sei noch kontrovers zu diskutieren. Zuerst sollen jedoch die Stressfaktoren des Rotwildes untersucht werden und die Frage geklärt werden, wie viel Rotwild überhaupt da sei. In diesem Zusammenhang verwies er auf die Zählung per Wärmebildkamera im Gebiet der Rot- und Muffelwildhegegemeinschaft Hinterlandswald. Lebensraumgutachten müssten vorrangig erstellt werden.
Die Landtagsabgeordnete Wiebke Knell (FDP Fraktion Hessen) betonte, es sei keine Besserung in der Diskussionskultur in Sicht, im Umgang miteinander handele es sich beim Umweltministerium um „Wiederholungstäter“. Die FDP habe einen Berichtsantrag im Landtag zur Schalenwildrichtlinie eingereicht und bemängelt, dass sie als Abgeordnete in die Diskussion nicht einbezogen wurde. Sie fordere im nun vorgelegten Antrag eine klare Auskunft warum und auf welcher Basis die Schalenwildrichtlinie entstanden ist.
Markus Meysner (CDU-Fraktion Hessen), ebenfalls Landtagsabgeordneter und Jagdscheininhaber, war aus Fulda angereist, um an der Veranstaltung teilzunehmen.
Im Anschluss an die Diskussion hatte der LJV zu einer Pressekonferenz eingeladen. Ein Interview mit Prof. Reiner und Pressesprecher Markus Stifter wurde noch am selben Abend in der Hessenschau gesendet. Es folgten weitere Berichte u. a. in der Frankfurter Rundschau, in der Wetterauer Zeitung, im Hörfunk bei HR3 und HR4 sowie Hitradio FFH.
Der LJV hat ein eigenes Videointerview mit Prof. Gerald Reiner sowie eine ausführliche Pressemitteilung auf der Homepage veröffentlicht:
https://ljv-hessen.de/rotwild-in-hessen-in-gefahr/
Die Expertengruppe Recht des LJV hat sich ebenfalls intensiv mit der Schalenwildrichtlinie beschäftigt. Eine Stellungnahme wurde an die Vorsitzenden der Jagdvereine und Hegegemeinschaften versendet. Im Bereich Downloads (ganz unten auf der Seite) steht diese Stellungnahme zum Herunterladen zur Verfügung.