Bedrohte Arten haben in Wiesbaden wieder eine Chance

Am 14. Juli 2020 stellten Claus Deußer und Frank Heeser von der Hegegemeinschaft Wiesbaden/Ost (HGO) bei einem gemeinsamen Pressetermin mit dem Hessischen Umweltministerium und der Stadt Wiesbaden die erfolgreiche Zwischenbilanz des Feldflurprojektes „Wiesbaden-Ost“ vor.

Artenreiche Blühfläche, eingesät im Mai 2020 mit der Artenschutzmischung „Vielfalt“ bestehend aus heimischen Sämereien. Foto: Markus Stifter

Die HGO hat gemeinsam mit dem LJV Hessen eng zusammengearbeitet und bereits im Jahr 2015 das Gebiets-Lebensraumkonzept „Wiesbaden-Ost“ vorgestellt. Innerhalb von nur fünf Jahren konnte die Hegegemeinschaft 94 einzelne Blühflächen auf einer Gesamtfläche von über 34 Hektar schaffen. Im Gegensatz zu allen anderen hessischen Feldflurprojekten wurde dieses Leuchtturmprojekt allein durch die ehrenamtliche Arbeit der Jägerinnen und Jäger in Zusammenarbeit mit den örtlichen Landwirten und der Oberen sowie Unteren Naturschutzbehörde möglich.

Rolf Hussing (Untere Naturschutzbehörde Wiesbaden), Dr. Matthias Kuprian (HMUKLV), Andreas Kowol (Umweltdezernent Wiesbaden), Frank Heeser und Claus Deußer von der Hegegemeinschaft Wiesbaden-Ost (von links) Foto: Markus Stifter

Es summt, brummt und zirpt schon lange bevor die in voller Pracht stehende Blühfläche überhaupt zu sehen ist. Es ist Mitte Juli und wir stehen an einer von insgesamt 94 Einzelflächen am Stadtrand von Wiesbaden-Erbenheim. Zwischen einer Großgärtnerei und dem amerikanischen Militärflughafen „Army Airfield“ liegt das rund zwei Hektar große Idyll.

Blühflächen bieten neuen Lebensraum

Im Hintergrund ist die Autobahn zu hören. Die Sonne scheint bei leichter Bewölkung und deutlich sind eine Vielzahl von Insekten, Wildbienen und Hummeln auf den leuchtenden Sonnenblumen zu erkennen und auch zu hören. Erst im Mai 2020 wurde diese Fläche eingesät und strahlt schon jetzt in voller Blüte. Ihre volle Wirkung wird diese Fläche im nächsten Frühjahr entfalten, denn dann kann sie von Rebhühnern als Brutrevier genutzt werden.

Nahrung und Deckung für Offenlandarten

Bereits in diesem Herbst und Winter werden hier viele Offenlandarten Nahrung und Deckung finden und Insekten in den hohlen Stängeln der abgestorbenen Pflanzen überwintern. Eine ideale Voraussetzung für die Aufzucht von Rebhühnern, denn die Küken sind in den ersten drei Lebenswochen auf tierisches Protein in Form von Ameisen, Spinnentieren oder kleinen Käfern angewiesen. Aber auch Säugetiere, wie Hasen oder der Feldhamster können in dem geschaffenen Lebensraum ein neues Zuhause finden.

Feldflurprojekte wie dieses werden in Hessen seit 2018 vom Hessischen Umweltministerium aufgelegt, von den Oberen Naturschutzbehörden der Regierungspräsidien hessenweit organisiert und von den Unteren Naturschutzbehörden sowie den Ämtern des ländlichen Raums regional betreut.

Landeshauptstadt Wiesbaden unterstützt Hegegemeinschaft

Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat die HGO von Anfang an bei ihrem Vorhaben unterstützt und die „Anschubfinanzierung“ in Höhe von 50.000 Euro für die ersten beiden Jahre aus dem städtischen Verwaltungsetat zur Verfügung gestellt.

Andreas Kowol, Umweltdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden
Andreas Kowol, Umweltdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden

Andreas Kowol, Umweltdezernent der Stadt Wiesbaden, dankte allen beteiligten Akteuren, die sich gemeinsam für die Biodiversität im Ballungsraum Wiesbaden engagiert haben. Einen besonderen Dank richtete er an die Jägerschaft, die ohne Konkurrenzgedanken so eng mit dem Naturschutz zusammengearbeitet hätte. Die Flächenüberlassung, sowie die Einsaat und Pflege der Blühflächen sei ebenfalls ein wichtiges zweites Standbein für landwirtschaftliche Betriebe, die mit der Trockenheit und Ernteausfällen zu kämpfen habe.  

 

Enge Zusammenarbeit sichert langfristigen Projekterfolg

Dr. Matthias Kuprian von der Obersten Naturschutzbehörde (HMUKLV) betonte, die Wiesbadener Bevölkerung habe großes Interesse an der Lebensraumgestaltung in den großen landwirtschaftlichen Flächen. Das HMUKLV denke darüber nach, dass bis 2023 geplante Feldflurprojekt Wiesbaden-Ost bei Erfolg fortzuführen. Die Hegegemeinschaft Wiesbaden-Ost habe die Aufgabe zwischen Landwirten und Behörden zu vermitteln, in vielen Gesprächen und einer engen Zusammenarbeit mit großem Erfolg übernommen.

Claus Deußer zuständig für Maßnahmen und Gestaltung in der HGO:

Claus Deußer zuständig für Maßnahmen und Umsetzung bei der HGO. Foto: Markus Stifter
Claus Deußer zuständig für Maßnahmen und Umsetzung bei der HGO. Foto: Markus Stifter

„Nachdem wir im Jahr 2015 unser Gebiets-Lebensraumkonzept Wiesbaden-Ost, welches in enger Zusammenarbeit mit dem LJV Hessen entstanden ist, vorgestellt hatten, galt es ‚dicke Bretter‘ zu bohren, um alle Beteiligten zu überzeugen.“

Rolf Hussing (Untere Naturschutzbehörde Wiesbaden) bekräftige, es sei gelungen, flächendeckende Biotopvernetzungen, bei der die Arten im Fokus stehen, auch in einer intensiv genutzten Ackerbaulandschaft zu erschaffen. 9-10 weitere Feldflurprojekte seien mittlerweile auf den Weg gebracht, die auf einer Fläche von rund 50.000 Hektar dem Artenschutz und der Biodiversität dienen sollen. Auch Akteure aus dem Main-Taunus-Kreis wollen dem Beispiel aus Wiesbaden nun folgen.

Frank Heeser, Vorsitzender der HGO betonte, es erfülle ihn mit großer Freude, dass die Akteure nicht nur über Verbissschäden oder Abschusszahlen diskutieren, sondern sich mit gemeinsamer Kraft für die Erhaltung und die Gestaltung von Lebensräumen einsetzen.

Kommentar von LJV-Pressesprecher Markus Stifter:

Jede Fläche ist ein eigenes Biotop

Jede dieser Einzelflächen ist für sich genommen ein Biotop, das hört, sieht, riecht und fühlt man. Eigentlich sollte es überall so aussehen, wie hier in Wiesbaden. Eine große Vielfalt an Gräsern und bunten Wiesenblumen, ist die Basis für das Überleben vieler bedrohter Tier- und auch Pflanzenarten. Dort wo sich nun Millionen von krabbelnden Insekten, Bienen, Hummeln, Spinnentieren und Schmetterlinge wohlfühlen, ist ein neuer Lebensraum auch für bodenbrütende Vogelarten wie das Rebhuhn oder den Feldhasen entstanden. Dabei verschmelzen Pflanzen, Insekten, Spinnentiere und Vögel wieder zu einer natürlichen Symbiose, die andernorts längst verloren geglaubt scheint.

Die Vernetzung von Biotopstrukturen mit Blühstreifen, Heckenstreifen und Feldholzinseln bietet ideale Deckung und Nahrung für die heimische Tierwelt. Luftaufnahme: Markus Stifter
Die Vernetzung von Biotopstrukturen mit Blühstreifen, Heckenstreifen und Feldholzinseln bietet ideale Deckung und Nahrung für die heimische Tierwelt. Luftaufnahme: Markus Stifter

Bestäubung durch Bienen und Hummeln sichergestellt

80 Prozent unserer Kultur- und Wildpflanzen, wie z. B. auch Obstbäume benötigen eine Fremdbestäubung durch Bienen und Hummeln. Diese bestäubenden Insekten benötigen als Nahrungsgrundlage nektarreiche heimische Kräuter, Stauden und Blühsträucher. Diese Insekten sind wiederum die Nahrungsgrundlage für viele Vogelarten.

Somit wird mit der Anlage von Blühflächen auf Ackerland eine doppelte Wirkung erzielt. Das Bestäuben von Obstbäumen und anderen Kultur- und Wildpflanzen ist sichergestellt und gleichzeitig wird dafür gesorgt, dass Rebhuhn & Co. wieder eine Lebensgrundlage erhalten.

Hintergrund: Ein guter Anfang als Grundlage zur Lebensraumverbesserung

Am Anfang stand ein „Gebiets-Lebensraumkonzept“, um dem Verlust der Biodiversität entgegenzuwirken. Erste Blühflächen auf rund 6 Hektar Ackerland konnten mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der Landeshauptstadt Wiesbaden bereits im Jahr 2017 umgesetzt werden. Rund 50.000 Euro hatte die Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt, um einerseits Flächen von Landwirten anzupachten oder diesen den Ertragsausfall zu erstatten, aber auch für die Feldbearbeitung und Saatgut konnte die HGO die Finanzspritze gut gebrauchen. Alle anderen Arbeiten, wie die Auswahl und Akquisition von geeigneten Flächen, die Verhandlung mit den Flächeneigentümern und Landwirten, die Vorbereitung und Feldbestellung bis zur Einsaat wurde von den 25 Jagdrevieren der Hegegemeinschaft im Ehrenamt gestemmt.

Startschuss zum Feldflurprojekt mit Förderung des Landes Hessen

Im Jahr 2018 hat die Hegegemeinschaft Wiesbaden/Ost die Projektträgerschaft für das Feldflurprojekt Wiesbaden-Ost vom Land Hessen übertragen bekommen. Ziel des Projektes ist es, bedrohte Arten wie Rebhuhn, Grauammer, Feldlerche und vielen anderen Arten einen Lebensraum in Form von Blühflächen auf Ackerland zur Verfügung zu stellen. Da seit den 1980er Jahren eine Abnahme von Insekten von bis zu 80 Prozent festgestellt wurde. Die Bestände des Rebhuhns sind deutschlandweit um rund 90 Prozent zurückgegangen. Diese Leitart steht stellvertretend für viele anderen Arten wie Feldlerche, Kiebitz und Wachtel.

Die Hegegemeinschaft Wiesbaden/Ost (HGO)

  • Gesetzlicher Zusammenschluss von 25 Jagdrevieren im Osten von Wiesbaden
  • Gesamtfläche: ca. 25.000 Hektar
  • Start mit Gebiets-Lebensraumkonzept im Jahr 2015 in Zusammenarbeit mit dem LJV Hessen
  • Zu Beginn: 6 Hektar Fläche für Blühstreifen, von der Jägerschaft zur Verfügung gestellt

Einladung an andere Hegegemeinschaften

Alle Hegegemeinschaften, Jägerinnen und Jäger sind herzlich dazu eingeladen, dem Beispiel der HGO zu folgen und sich in ihrer Region gemeinsam mit den Landwirten und den Naturschutzbehörden für die Erhaltung und Gestaltung von Lebensräumen einzusetzen.

Der LJV Hessen unterstützt Sie gerne dabei.

Ihre Ansprechpartner:

Dr. Nadine Stöveken (Naturschutzreferentin des LJV Hessen)
Telefon: 06032/9361-11
E-Mail: nadine.stoeveken@ljv-hessen.de

Frank Heeser (Vorstand der HGO)
Telefon: 01520-1559930
E-Mail: frank.heeser@web.de

Claus Deußer (Maßnahmen in der HGO)
Telefon: 0611-502172 oder: 01520-1999113
E-Mail: clausdeusser@t-online.de