Wildgänse im Werratal – ein Zwischenstand

Nachdem im Jahr 2002 die erste Graugans im Naturschutzgebiet Freudenthal und bereits im Jahr 2003 die erste Nilgans im Werra-Meißner am Meinhardsee in Grebendorf gebrütet hatten, sind die Zahlen der brütenden Tiere aber vor allem der überwinternden Grau- und Nilgänse im Werratal stark angestiegen. In den Wintermonaten können es bis zu 1.100 Grau- und Nilgänse sein. Schon vor rund zehn Jahren gab es erste Berichte über Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen.

Pressekonferenz zum Projekt Wildgänse im Werratal
Von links: Rainer Stelzner (1. Vorsitzender des Jagdvereins Hubertus Kreis Eschwege), Gerhold Brill (Bürgermeister Gemeinde Meinhard), Bernd Eichstädt, Dr. Rainer Wallmann (Erster Kreisbeigeordneter) und Johann David Lanz (AKW). Foto: Markus Stifter

Wildgänse verkoten Badestrände am Werratal- und Meinhardsee

Doch auch die Kommunen rund um den Werratalsee (Eschwege und Meinhard) berichteten über eine zunehmende Verschmutzung der Badestrände und Koteintrag ins Badewasser, besonders durch Nilgänse.

Nachdem die landwirtschaftlichen Schäden im Jahr 2015 auf rund 20.000 Euro geschätzt wurden, hat der Jagdverein Hubertus Eschwege e. V. das Projekt „Wildgansmanagement und Wildgansmonitoring im Werratal“ ins Leben gerufen. Mit Unterstützung des Ersten Kreisbeigeordneten Dr. Rainer Wallmann wurde eine Arbeitsgruppe „Wildgänse“ gegründet, mit dem Ziel alle beteiligten Akteure aus Landwirtschaft, Tourismus, Jagd, Kommunen, Veterinärbehörden und Naturschutz an einen Tisch zu bringen.

 

Frank-Reiner Rake hat sich als Kreisjagdberater um die wissenschaftliche Begleitung des Projektes durch den Arbeitskreis Wildbiologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen bemüht. Das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz förderte das Projekt der Gießener Wildbiologen Johann David Lanz und Johannes Lang aus der Jagdabgabe.  Am 16.12.2019 wurde in einer Pressekonferenz in Eschwege eine Zwischenbilanz vorgestellt:

Projekt “Wildgänse im Werratal” startet mit Zählungen im Frühjahr 2018

Im April 2018 begann die wissenschaftlich begleitete Projektphase und die beteiligten Akteure arbeiten seither daran, die Konflikte in der Region Eschwege/Meinhard zu entschärfen. Zunächst galt es, auf festgelegten Zählflächen rund um den Werratal- und Meinhardsee konkrete Zahlen zu erhalten, wie viele Wildgänse sich tatsächlich über den Jahresverlauf in der Region aufhalten. Deshalb finden seit Dezember 2018 an jedem zweiten Samstag simultane Zählungen auf den festgelegten Flächen statt, um eine doppelte Zählung der Gänse zu verhindern.

Probleme mit den Wildgänsen entstehen dann, wenn sie mit den Nutzungsansprüchen des Menschen in Konflikt geraten. Wildgänse treten gern in Schwärmen und größeren Trupps von ca. 50 bis zu mehreren hundert Tieren auf. Diese Gruppen suchen tagsüber gemeinsam Futterflächen auf, in erster Linie junges Getreide und Grünland. Durch die konzentrierte Nutzung einiger weniger Flächen in einem kurzen Zeitraum, können vor allem im Winterhalbjahr erhebliche landwirtschaftliche Ertragseinbußen entstehen.

Oft wird eine Fläche so lange von den Wildgänsen genutzt, bis sie nicht mehr ergiebig ist, was je nach Flächengröße und Anzahl der Wildgänse einige Tage oder mehrere Wochen dauern kann. Daher werden häufig nur wenige Flächen in einer Region stark heimgesucht, während andere kaum oder gar nicht betroffen sind. Gewässernähe, Jagd und Spaziergänger und die angebaute Feldfrucht bestimmen, wie attraktiv eine Fläche ist. Besonders beliebt sind Winterweizen und Raps.

Revierübergreifendes Jagdkonzept entwickelt

Ein wesentlicher Bestandteil des Projektes „Wildgänse im Werratal“ ist die gezielte Jagd auf landwirtschaftlichen Flächen, an denen die Wildgänse Schäden verursachen. Der Jagdverein Hubertus Kreis Eschwege e. V. koordiniert dazu unter der Regie von Bernd Eichstädt mehrere „Gänsejägertrupps“, die nach Absprache mit den Landwirten die früh morgens auf die Äcker einfallenden Gänse bejagen.

Lockbild Gänsejagd
Das Gänselockbild muss schon in der Dunkelheit aufgebaut werden. Im ersten Licht streichen bereits die Gänse von den Wasserflächen ab und fallen auf die Ackerflächen ein. Foto: Bernd Eichstädt

 

Dazu haben Rainer Stelzner und Bernd Eichstädt ein revierübergreifendes Jagdkonzept entwickelt und mit Unterstützung der Unteren Jagdbehörde umgesetzt. So können die Gänsejäger sofort reagieren, wenn die Gänse andere Ackerflächen aufsuchen. Die Pächter von insgesamt zehn Revieren haben ihr Einverständnis erteilt, dass die Gänsejäger überall dort jagen dürfen, wo die Gänse zu Schaden gehen.

Gänseliege mit Tarnmuster
In den Gänseliegen warten die Jägerinnen und Jäger gut getarnt, bis die Gänse im Landeanflug sind und dann auf sichere Distanz von maximal 35 Meter erlegt werden können. Foto: Bernd Eichstädt
Getarnte Gänsejäger
Die Gänsejäger müssen sich auf den Gänseliegen optimal an die Vegetation anpassen, damit sie nicht zu früh bemerkt werden. Eine gute Tarnung erhöht die Chance auf einen Jagderfolg beträchtlich. Foto: Bernd Eichstädt

Die erlegten Gänse bzw. den Ertrag aus dem Verkauf erhält der jeweilige Jagdpächter. Diese gute Kooperation stellt die Basis für eine effektive Gänsebejagung dar. Die Pächter waren ebenso damit einverstanden, dass andere Flächen mit Zwischenfruchtanbau (auf denen kein Schaden entstehen kann) nicht bejagt werden, um die intelligenten Tiere dadurch bei der Nahrungsaufnahme zu lenken. Auf den gefährdeten Flächen tritt so der gewünschte Vergrämungseffekt ein. Dr. Jörg Brauneis, Naturschutzbeauftragter des Jagdvereins Hubertus Kreis Eschwege, begrüßt insbesondere, dass Zwischenfruchtflächen auch als Äsung für Stockenten und die geschützte Blässgans zur Verfügung stehen.

Zwischenfruchtanbau bietet Äsungsflächen für Wildgänse

Zusätzlich wird nach Möglichkeit von den lokalen Landwirten eine Zwischenfrucht eingesät, die für Wildgänse attraktive Nahrung darstellt und nicht zu hoch aufwächst, was dem Sicherheitsbedürfnis der Wildgänse entgegenkommt. In flacher Vegetation können sie besser den Überblick bewahren und Feinde wie Fuchs, Mensch oder Hund, schneller erfassen und ggf. rechtzeitig fliehen. An anderer Stelle haben die Landwirte an besonders schadensanfälligen Flächen in Gewässernähe die Wirtschaftsweise angepasst und anstelle von Wintergetreide Mais angebaut, der von den Wildgänsen nicht gefressen wird.

Nilgänse sind weniger scheu und verkoten Badestrände

Ein weiterer Konflikt im Bereich des Großen Werratalsees und des Meinhardsees ist die Verkotung von Badestellen. Das geht fast ausschließlich auf Nilgänse zurück, weil sie weniger scheu als Grau- und andere Wildgänse sind und die Nähe des Menschen nicht fürchten. Die Badestellen am Großen Werratalsee wurden nach Rücksprache mit der Stadt Eschwege ebenfalls mit dem Ziel der Vergrämung bejagt. Im Gegensatz zur heimischen Graugans ist bei der Nilgans neben der Vergrämung auch eine Reduktion des lokalen Vorkommens ein Ziel. Die Nilgans kommt ursprünglich aus Afrika und wurde durch den Menschen als Zier- und Parkvogel nach Europa gebracht. Von den Niederlanden aus breitete sie sich in den letzten Jahrzehnten rasant aus. Die EU listet die Nilgans seit August 2017 als invasive Art.

Kotuntersuchung ergab bislang kein Hinweis auf Salmonellengefahr

An den Badestellen des Großen Werratalsees wurde Gänsekot von Mitarbeitern der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische der Justus-Liebig-Universität Gießen gesammelt und auf Salmonellen untersucht, die in den Ausscheidungen von Wasservögeln vorkommen können. Alle Untersuchungen waren negativ, Salmonellen konnten keine nachgewiesen werden.

Kontrollkörbe als Referenzflächen

Neben den Simultanzählungen und den koordinierten Jagden finden im Projekt auch Untersuchungen zum Ausmaß der Beweidung – und daraus eventuell resultierenden Ertragseinbußen – durch Wildgänse statt. Dieses und letztes Jahr untersuchen Mitarbeiter der Justus-Liebig-Universität Gießen seit November auf ausgesuchten landwirtschaftlichen Flächen das Ausmaß der Beweidung. Dazu wurden 50 Kontrollkörbe, jeweils ein Quadratmeter groß, auf landwirtschaftlichen Schlägen installiert, in denen die Pflanzen nicht gefressen werden können. Im folgenden Sommer kann der ermittelte Ertrag aus den Kontrollkörben mit Referenzflächen auf demselben Flurstück verglichen und so ein etwaiger Minderertrag bestimmt werden.

Das Projekt „Wildgänse im Werratal“ endet im März 2021 und die laufenden Maßnahmen werden ständig angepasst und verbessert. Regelmäßige Treffen in Arbeitskreisen dienen der Ausarbeitung und Bewertung von Maßnahmen. Der anfängliche Ansatz, möglichst viele Interessensgruppen einzubinden und die Lösungsansätze gemeinsam zu erarbeiten und abzustimmen, ist ein wesentliches Merkmal des Projekts und sichert eine breite Akzeptanz.