Wildunfälle vermeiden – Tierleid verhindern

Erfolgreiche Großveranstaltung von ADAC, Polizei, Landkreis, LJV Hessen und Jägerschaft am 13. Oktober 2019 in Gießen

Wildunfall Crash-Test mit Wildschwein-Dummy
Bei Tempo 80 prallt der rote Opel Vectra auf einen mit Sand gefüllten und rund 130 kg schweren Schwarzwilddummy. Foto: Thorsten Mohr/Polizei Mittelhessen

Mit Vollgas und quietschenden Reifen startet ein roter Opel Vectra in Richtung des Gießener Schiffenbergs. Im Auto sitzt Stephan Schnabel, ein erfahrener Stuntman, der aus den Shows von Stefan Raab bekannt ist. Die Fahrzeugkabine ist optimal gesichert, die Frontscheibe durch ein Gitter geschützt, spezielle Schultergurte und ein Nackenschutz sorgen dafür, dass sich der Fahrer trotz Helm und extra eingebauten Überrollbügeln nicht verletzen kann. Kurz vor der Anhöhe des Schiffenbergs erreicht das Fahrzeug eine Geschwindigkeit von rund 80 Stundenkilometern.

Spannung vor dem Aufprall

Gebannt schaut eine große Menge an Zuschauern hinter einer sicheren Polizeiabsperrung, was als nächstes passieren wird. Ein heftiger und lauter Knall, dann kommt das Fahrzeug nach einer Vollbremsung zum Stehen. Einen Sekundenbruchteil zuvor hat das Auto einen 130 Kilo schweren Wildschwein-Dummy mit voller Geschwindigkeit gerammt und von der Fahrbahn katapultiert. Der Fahrer streckt die Hand aus dem Fenster und signalisiert damit: „Alles in Ordnung“. Die Spannung bei allen Teilnehmern löst sich, auch die der Kameraleute und Fotografen, die den Moment des Zusammenstoßes in Bild und Ton festhalten wollten.

Live-Crash-Test wird zum Aha-Erlebnis

Eine dramatische Szene, die sich so alle 90 Minuten in Mittelhessen ereignet, nur ohne Zuschauer, Kameras und ohne dass die Fahrerin oder der Fahrer weiß, was in den nächsten Sekunden passieren wird. Insgesamt zählte die Polizei im Jahr 2018 über 5.400 Unfälle mit Wild in Mittelhessen, das sind bereits 22 % der gesamten Unfälle. 68 Menschen verunglückten dabei, neun von ihnen sogar mit schweren Verletzungen. Trotz jährlicher Schwankungen stiegen die Wildunfallzahlen in den vergangenen 10 Jahren stetig an.

Dieter Mackenrodt
LJV-Vizepräsident und Vorsitzender des Jagdvereins „Hubertus“ Gießen und Umgebung bekräftige, jeder Wildunfall sei einer zu viel, die Autofahrerinnen und -fahrer können ihr Verhalten ändern, Wildtiere hingegen folgen ihren Instinkten auf der Suche nach Nahrung. Foto: Markus Stifter

„Die Gefahr, die von einem Wildunfall ausgeht, wird deutlich unterschätzt“, da sind sich die Initiatoren der Veranstaltung „Wildunfälle vermeiden – Tierleid verhindern“ einig. Vor einem Jahr entwickelte LJV-Vizepräsident und Vorsitzender des Jagdvereins „Hubertus“ Gießen und Umgebung, Dieter Mackenrodt, gemeinsam mit Gerhold Bunge vom Polizeipräsidium Mittelhessen die Idee zu dieser wichtigen Veranstaltung. Nach insgesamt sechs Runden Tischen an denen die Projektpartner von ADAC, Polizei und Jägerschaft, vertreten durch den Jagdverein „Hubertus“ Gießen und dem Landesjagdverband, das Konzept entwickelt haben, war es am Sonntag, dem 13. Oktober 2019 soweit.

Bei herrlichem Spätsommerwetter, 24 Grad Außentemperatur und fallendem Herbstlaub begrüßte Polizeipräsident Bernd Paul um 10.00 Uhr die Besucher auf dem Gelände des Klosters Schiffenberg: „Wir haben rutschige Fahrbahnen, schlechten Grip durch das Laub, das jetzt auf die Straßen fällt und fahren mit unseren Fahrzeugen durch das Wohn- und Esszimmer des Wildes. Wildtiere werden von ihren Instinkten gesteuert und wir als Verkehrsteilnehmer sollten eigentlich vernunftgesteuert unsere Fahrzeuge bewegen. Mit der entsprechenden Achtsamkeit und entsprechenden Vorsicht können wir etwas erreichen.“ 

Polizeipräsident Bernd Paul
Polizeipräsident Bernd Paul appelliert in der Begrüßung an die Fahrerinnen und Fahrer langsam und umsichtig zu fahren. Foto: Markus Stifter

Die frühe Dunkelheit am Abend und in den frühen Morgenstunden sei besonders gefährlich. 69 Prozent aller Wildunfälle ereigneten sich in der Dunkelheit. Bereits früh morgens ab 5.00 bis etwa 8.00 Uhr und abends zwischen 17.00 und 22.00 Uhr seien die meisten Verkehrsunfälle mit Wild zu verzeichnen.

Jeder Wildunfall ist einer zu viel

Dieter Mackenrodt bestätige dies auch durch die Erfahrungen aus der Jägerschaft: „Knapp ein Viertel aller Unfälle sind auf Kollisionen mit Wildtieren zurückzuführen, dabei ist jeder einzelne Wildunfall einer zu viel.“ Das Verhalten der Tiere könne man nicht verändern, es gehe erstrangig darum, die menschliche Gesundheit zu schützen und gleichzeitig das Tierleid zu verhindern. In Hessen lägen pro Tag 35 Rehe, 8 Wildschweine und alle zwei Tage ein Stück Rotwild auf der Straße. Die vielen Kleintiere wie Hasen, Füchse oder auch Katzen seien von diesen Statistiken noch gar nicht erfasst.

Wolfgang Herda, Verkehrsexperte beim ADAC Hessen-Thüringen appellierte an die Gäste: „Das wichtigste sind Sie meine Damen und Herren. Es kommt auf Sie an, auf Ihre Fahrweise. Wenn Sie auf Landstraßen unterwegs sind, dürfen Sie Tempo 100 fahren, wenn nichts anders ausgeschildert ist. Tatsache ist aber, dass 100 km/h in der Dämmerung oder in der Nacht einfach zu viel sind. Sie werden es bei einem plötzlichen Wildwechsel über die Straße nicht schaffen, Ihr Fahrzeug vor dem Tier zum Stehen zu bekommen. Deshalb ist es wichtig, dass Sie das richtige Verhalten im Hinterkopf behalten: Es kann jederzeit zu Wildunfällen oder Wildtierbegegnungen kommen.“

Wolfgang Herda vom ADAC Hessen-Thühringen bekräftigte, dass Tempo 100 auf Landstraßen bei Dämmerung und in der Nacht sind einfach viel zu viel seien. Foto: Markus Stifter

Aufprallgewichte werden oft unterschätzt

Und genau diese Gefahr wird den Besucherinnen und Besuchern nach dem Crash-Test sehr deutlich. In einem Rettungsszenario befreien Feuerwehr, Polizei und Notfallsanitäter der Johanniter Unfallhilfe Mittelhessen die vermeintlich schwer verletzte Person aus dem Autowrack. Schon bei Tempo 60 erreicht ein Rothirsch das Aufprallgewicht eines Elefanten von rund fünf Tonnen, ein Wildschwein wirkt dabei wie ein Nashorn mit 3,5 Tonnen auf das Fahrzeug ein. Ist die Karosserie nach dem Aufprall stark verformt und ein Aussteigen nicht möglich, muss die Feuerwehr mit schwerem Gerät eingreifen und befreit den Fahrer mit der hydraulischen Rettungsschere oder dem Spreitzer aus dem Auto. Sanitäter stabilisieren dabei den Kopf des Verunfallten und kontrollieren ständig seine Atmung, Herzfrequenz und Blutdruck.

Pressegrafik Aufprallgewichte Wildunfall
Aufprallgewichte von Wilditeren schon bei 60 km/h. Quelle: DJV

Attraktionen für Groß und Klein

Im Innenhof der Domäne Kloster Schiffenberg erwarteten die Besucher weitere Attraktionen: In zwei Fahrsimulatoren des ADAC und des Bundes gegen Alkohol und Drogen am Steuer (B. A. D. S.) konnten Interessierte ihre Reaktionsfähigkeit testen, wenn bei herbstlichem Wetter mit Nebel und Regen plötzlich ein Wildtier auf die Straße wechselt oder wie sich der Konsum von Alkohol oder Drogen auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt.

Am Stand vom Jagdverein „Hubertus“ Gießen und Umgebung gingen Eltern und Kinder auf „Tuchfühlung“ mit den heimischen Wildtieren. Foto: Dr. Nadine Stöveken

Schon die Kleinsten begeisterten sich für das Lernort-Natur-Mobil des Landesjagdverbandes und lernten am gemeinsamen Stand mit dem Jagdverein „Hubertus Gießen und Umgebung“ viele heimischen Wildtiere kennen. Auf einem Fahrradparcours konnten die Größeren um Hindernisse fahren, eine Wippe überqueren und spielerisch kleinen Wildtieren wie Hase und Fuchs gekonnt ausweichen lernen.

Über einen Fahrrad-Hindernisparcours freuten sich insbesondere die größeren Kinder. Spielerisch konnten sie dabei schon kleinere Wildtierarten wie Fuchs und Hase kennenlernen. Foto: Dr. Nadine Stöveken

Auf dem Parkplatz vor dem Kloster bot ein „Gelber Engel“ des ADAC kostenlos die Überprüfung von Licht, Reifendruck und -profil an und gab weitere Tipps, wie das eigene Fahrzeug herbst- und wintertauglich gemacht werden kann.

Daniel Seller sorgte mit seinem Partyservice und der Wildspezialitäten-Metzgerei für das leibliche Wohl.

Am Nachmittag berichtete Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich dem Publikum von seinen eigenen Erfahrungen: „Heute Morgen auf dem Weg hier her habe ich am Straßenrand an verschiedenen Stellen zwei Waschbären gesehen und ich hatte auch das zweifelhafte Vergnügen vor zweieinhalb Jahren mit meinem Dienstwagen ein Reh „mitnehmen“ zu dürfen. Am hellen Tag kam es aus dem Graben heraus. Bis ich richtig realisiert hatte, dass da etwas ist, hatte ich das Tier schon mit meiner Autoecke erwischt.“ Er lobte das Engagement der beteiligten Projektpartner und bekräftige, wie wichtig es sei, das Thema „Wildunfälle“ in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen und damit möglichst dafür zu sorgen, dass weniger Unfälle passieren.

Großes Medienecho

Die Projektpartner freuten sich über den gelungenen Veranstaltungstag, der ein sehr großes mediales Interesse auf sich gezogen hatte. Neben den regionalen Tageszeitungen „Gießener Allgemeine“ und „Gießener Anzeiger“ berichteten auch die Hessenschau, RTL Hessen, SAT1 und Pro7, Welt24 TV und Osthessen-News über den mittelhessischen Präventionstag. Auf den Facebook-Kanälen der Polizei Mittelhessen und des LJV wurden der Crash-Test und das folgende Rettungsszenario live ins Internet übertragen. Aus dem entstandenen Filmmaterial realisieren das Social-Media-Team der Polizei und die LJV-Pressestelle einen Ratgeberfilm zum Thema Wildunfälle, der demnächst auf Youtube vorgestellt wird.

Großes Medieninteresse auch während des Rettungsszenarios. Insgesamt waren vier Kamerateams von HR, RTL, SAT1 und Osthessen-News vor Ort. Foto: Dr. Nadine Stöveken

Weitere Informationen und die verteilte Broschüre für das Handschuhfach, die im Notfall immer griffbereit sein sollte, finden Sie auf der Homepage ljv-hessen.de

Der LJV dankt dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, der Hessischen Staatskanzlei, Ministerpräsident Volker Bouffier, der als Schirmherr fungierte, Innenminister Peter Beuth und Staatssekretär Dr. Stefan Heck, dem Landespolizeipräsidenten Udo Münch sowie dem Hessischen Innenministerium und dem Polizeipräsident Bernd Paul für die Förderung und Unterstützung der Veranstaltung. Ein herzlicher Dank geht auch an alle Helfer und Unterstützer aus dem Jagdverein „Hubertus“ Gießen, Dr. Nadine Stöveken vom LJV sowie der Polizei und den ADAC (Wolfgang Herda und Jan Lüders). Die Kampagne und der Eventfilm konnten nur durch die tatkräftige Unterstützung von Gerhold Bunge, Dirk Brandau sowie dem Pressesprecher der Polizei Mittelhessen Guido Rehr und dem Social-Media-Team – Thorsten Mohr und Matthias Ewel – realisiert werden.

Trailer zur Veranstaltung “Wildunfälle vermeiden – Tierleid verhindern”

 

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Autor: Markus Stifter