Rote Liste

– Vorwarnsysteme des Artenschutzes oder naturschutzpolitische Kampfinstrumente?

Vorbemerkung

“Rote Listen” sollen den Gefährdungsgrad (relativ) seltener Tier- und Pflanzenarten möglichst objektiv darstellen, damit diesen durch die Verbesserung ihres Lebensraums und besonderen Schutz geholfen werden kann. Allerdings können Rote Listen auch von einzelnen Naturschutzgruppierungen instrumentalisiert werden; etwa, um unter dem Deckmantel des Artenschutzes verbandspolitische Einzelinteressen im Naturschutz durchzusetzen oder bestimmte Gruppen von “Naturnutzern” wie Jäger, Angler, Forst- und Landwirte fälschlicherweise als “Artenzerstörer” zu denunzieren. Wenn aber Rote Listen im Kampf um die öffentliche Meinung zu propagandistischen Zwecken missbraucht werden, leidet letztlich die Glaubwürdigkeit des Arten- und Naturschutzes darunter.

Rote Liste contra Fakten

Im Herbst 1990 wusste es der Landesverband Hessen des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) ganz genau: “4.500 Rebhühner bevölkern noch Hessens Fluren ” verbreiteten die Vogelschützer über die Deutsche Presse-Agentur in allen Zeitungs-, Hörfunk- und Fernseh-Redaktionen zwischen Werra und Rhein. Gezählt hatte der Nabu die Rebhühner bis dahin freilich nicht, aber sein Fazit stand schon fest: “Die Rebhühner sind vom Aussterben bedroht.”

In den folgenden Jahren zählten jedoch Hessens Jäger in ihren Feldrevieren gemeinsam mit Vogelschützern unter Federführung der Staatlichen Vogelschutzwarte tatsächlich die Rebhühner im Frühjahr und Herbst. Obwohl diese Bestandserfassung nur rund drei Viertel der 2.800 Feldreviere einbezog, förderte sie Erstaunliches zutage.

Die Zähler fanden von 1991 bis 1994 im Frühjahr einen stabilen Brutbestand von zirka 25.000 Rebhühnern vor, die sich bis zum Herbst jeweils auf 75.000 bis 80.000 Tiere vermehrten. Obwohl kein einziges Feldhuhn von den Jägern geschossen wurde, sank ihre Zahl allerdings während des Winters wieder um zwei Drittel.

Doch diese fundierten Zahlen, die erstmals auf großflächigen Zählungen beruhten und auch von der Vogelschutzwarte offiziell anerkannt wurde, gingen in die neueste “Rote Liste der gefährdeten Brutvogelarten Hessens” nicht ein. Die jüngste Rote Liste, die 1997 erschien, gibt für 1994 (!) nur einen Frühjahrsbestand von 10.000 bis 15.000 Rebhühnern an.

“Schätzungen” und “Trends”, die Mitglieder des Nabu und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie (HGON) beisteuerten, flossen in dieses Zahlenwerk ein – aber nicht die konkreten Zählergebnisse, an deren Zustandekommen beide Verbände zuvor selbst beteiligt waren. Wurden die Zahlen etwa bewusst halbiert, um das Rebhuhn nun als “stark gefährdet” ausweisen zu können und den Jägern eins auszuwischen?

“Auf Zuruf”, so betonte der frühere hessische Forst- und Naturschutzminister Jörg Jordan (SPD) noch im Herbst 1994, werde in Hessen keine Rote Liste mehr erstellt. Offenbar ist dieses Ministerwort noch nicht bis zur Staatlichen Vogelschutzwarte und der Frankfurter Senckenberg-Gesellschaft durchgedrungen, die das Zustandekommen der hessischen Roten Liste fachlich und wissenschaftlich begleiten.

Hilfsmittel des Natur und Umweltschutzes

Worin besteht überhaupt das Ziel dieser Roten Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten?

Rote Listen sollen vor allem den Stand des aktuellen Wissens über die Gefährdung unserer Natur wiedergeben sowie die Öffentlichkeit informieren und motivieren, den Artenrückgang zu stoppen; die Entwicklungstrends (relativ) seltener Tier- und Pflanzenarten auch über längere Zeiträume widerspiegeln;

Politikern, Naturschützern, Jägern, Anglern etc. als Entscheidungshilfe dienen, wenn es um Schutz, Neuanlage und Entwicklung von Lebensräumen für seltene Tier- und Pflanzenarten geht.

Rote Listen bilden folglich ein Hilfsmittel, eine Art Vorwarnsystem des Natur- und Umweltschutzes, sind aber nicht rechtsverbindlich.

Bundesweit bearbeiten 450 Fachleute 16.000 Tierarten

Wie kommen die Bestandszahlen bzw. -schätzungen überhaupt zustande, nach denen Tier- und Pflanzenarten als gefährdet eingestuft werden?

Folgende Gefährdungskategorien kennt die Rote Liste Deutschlands:

  • 0 = Ausgestorben oder verschollen
  • (z. B. Elch, Wisent, Wolf, Braunbär, Steinhuhn, Schlangenadler, Zwergsumpfhuhn)
  • 1 = Vom Aussterben bedroht
  • (z. B. Fischotter, Fledermausarten, Sumpfohreule, Kornweihe, Auerhuhn, Birkhuhn)
  • 2 = Stark gefährdet
  • (z. B. Feldhamster, Luchs, Wildkatze, Schweinswal, Steinadler, Steinkauz, Rebhuhn )
  • 3 = Gefährdet
  • (z. B. Biber, Feldhase, Feldspitzmaus, Sumpfmaus, Haselhuhn, Wanderfalke, Baumfalke)
  • G = Gefährdung anzunehmen, aber Status unbekannt
  • (z. B. Teichfledermaus, Zweifarbfledermaus)
  • R = Extrem selten mit geographischer Restriktion
  • (mit landschaftlicher Beschränkung, etwa auf Hochgebirge oder See)
  • (z. B. Alpenwaldmaus, Steinbock, Alpenmurmeltier, Bergfink, Zwergmöwe)
  • V = Arten der Vorwarnliste
  • (z. B. Breitflügelfledermaus, Zwergmaus, Baummarder, Mauswiesel, Iltis, Feldlerche)
  • D = Daten defizitär, Einstufung unmöglich
  • (z. B. Hausratte, 55 kHz-Zwergfledermaus)

Es sind nur rund 450 Fachleute, die für das Bundesamt für Naturschutz für 16.000 (!) von insgesamt 45.000 Tierarten ihre Erkenntnisse, Zahlen und vor allem Schätzungen der Bestände und deren Entwicklungstrends zusammentragen. Diese Angaben bilden die Grundlage der Roten Liste Deutschlands.

Eine bundesweite, flächendeckende Erfassung oder Zählung der Rote-Liste-Tierarten erfolgt also nicht! Sie wäre auch von den 450 beteiligten Fachleuten überhaupt nicht zu leisten!

Zum Vergleich: Allein in Hessen nahmen an den Rebhuhnzählungen jährlich im Frühjahr und Herbst in über 2.000 Feldrevieren mindestens 5.000 Jäger und Vogelschützer teil.

Das bedeutet aber auch:

In die Roten Listen fließen in erheblichem Umfang subjektive Schätzungen und persönliche Bewertungen der Mitarbeiter ein!

Sind in Hessen 220.000 Feldhasen genauso stark gefährdet wie 100 Biber?

Nur so ist es beispielsweise zu verstehen, daß der bundesweit in der Feldflur flächendeckend verbreitete Feldhase als “gefährdet” in die gleiche Kategorie eingestuft wird wie Biber und Haselhuhn. Von letzteren beiden Tierarten existieren in Deutschland nur kleine, regional eng begrenzte Bestände!

Dass eine wirkliche Bestandserfassung von Tierarten, die sich gemeinhin der Beobachtung durch den Menschen entziehen, die Einstufungen der Roten Liste über den Haufen wirft, zeigt nicht nur das Beispiel des Rebhuhns in Hessen. Auch das hessische Feldhasen-Forschungsprogramm, in dessen Verlauf drei Jahre lang in über 50 landestypischen Feldrevieren die Mümmelmänner gezählt worden sind, liefert dafür einen schlagenden Beweis.

Diesen Zählungen zufolge schwankt in Hessen der Bestand je nach Güte des Lebensraums etwa zwischen 5 und 100 Feldhasen pro 100 Hektar. Aber im Frühjahr tummeln sich zirka 220.000 und im Herbst weit über 300.000 Hasen in Hessens Feldern und Wäldern. Deshalb kann überhaupt keine Rede davon sein, daß die Feldhasen als Tierart “gefährdet” sind oder gar in der gleichen Gefährdungskategorie wie Biber und Haselhuhn auftauchen. Der Biber kommt in Hessen dank seiner Wiederansiedlung seit gut zehn Jahren im Spessart vor; allerdings umfaßt die dortige Population vielleicht 100 dieser Großnagetiere.

Mit „gefährdet sein“ lässt sich leicht Politik machen

“Die Roten Listen Deutschlands sind trotz gegenteiliger Beteuerungen zu sehr durch den expansiven deutschen Virus des ,Gefährdetseins’ infiziert. Deutschland ist Weltmeister im Erstellen Roter Listen, merkwürdigerweise aber auch ein Land, in dem sich Faunistik und Systematik auf einem kontinuierlichen Sinkflug befinden. Statt dessen werden ständig neue politisch und juristisch handhabbare Instrumente geschaffen, deren Funktion offensichtlich darin besteht, scheinbare ,ökologische Autorität’ zu verkörpern”.

Dies schreibt der Direktor des Instituts für Biogeographie der Universität des Saarlands, Professor Paul Müller, in der Jagdzeitschrift “Wild und Hund” (WuH/Heft 19/1998).

“Im Gegensatz zu Großbritannien, dem faunistisch und floristisch bestuntersuchten Land der Erde, ist bei uns weiterhin fast alles gefährdet. 92 Prozent aller Biotope, 79 Prozent aller Reptilien, 50 Prozent aller Spinnen und 44 Prozent von den 6.537 Käferarten sind in Deutschland bedroht (Rote Liste 1998)”, merkt Müller in WuH weiter an.

Der Biogeograph fährt fort: “Bei gut untersuchten und bekannten Tiergruppen (z. B. Vögel) sinkt allerdings der Gefährdungsgrad, und Arten die auf der 1984er Liste bereits ,ausgestorben’ waren, sind wieder zurückgekehrt oder wie Orpheusspötter und Blutspecht in das von 240 Germanen pro Quadratkilometer ,übernutzte Land’ neu eingewandert.”

Dass eine intensive Bestandsaufnahme bestimmter Tierarten die Einstufungen der Roten Liste zunichte macht, beweist auch ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Dort fielen Waldschnepfe und Dachs zunächst unter die Kategorie “gefährdet” – bis Jäger und Naturschützer deren Bestände erstmals genauer erfassten. Das Ergebnis: Von einer Gefährdung kann überhaupt keine Rede sein!

Aber, so lautet schließlich das Fazit des Biogeographen Müller in WuH (19/1998):

“Mit ,Gefährdetsein’ lässt sich leichter und risikofreier Politik betreiben. Weil dem falschen Propheten verzeiht man fast immer, wenn es besser kommt als vorausgesagt. Verbraucht – und das haben viele engagierte und gutgläubige Ökologen noch nicht erkannt – wird die Ökologie und die Wissenschaft, die sich an Horrorszenarien beteiligt.”

Mit dem angeblichen “Gefährdetsein” zieht aber auch die Spendensammel-Industrie gutgläubigen Tier- und Naturfreunden etliches Geld aus der Tasche, das mitunter nur in Bruchteilen für den angestrebten Zweck verwendet wird. Ein schlagendes Beispiel sind hierfür Organisationen, die angeblich in Afrika die Elefanten vor dem Aussterben retten wollen – obgleich sich die Dickhäuter tüchtig vermehren und für die einheimische Bevölkerung schon öfter zum Problem werden.

Flächendeckende Bestandserfassung nur mit Jägern und Förstern praktikabel

Der Landesjagdverband Hessen fordert deshalb, daß die Roten Listen auf eine breitere, objektive Datenbasis gestellt werden. Die rund 21.000 hessischen Jäger und Förster müssen stets dann an der Bestandserfassung für die hessische und bundesweite Rote Liste beteiligt werden, wenn es sich um Tierarten handelt, die dem Jagdrecht unterliegen.

Jäger und Förster betreuen in ihren Feld- und Waldrevieren permanent fast 90 Prozent der Landesfläche. Sie haben ständig Einblick in Populationsdynamik und Bestandsentwicklung zahlreicher freilebender Tiere und wildwachsender Pflanzen, erkennen Entwicklungstrends als erste.

Jäger und Förster haben – im Gegensatz zu vielen Mitgliedern anderer Naturschutzverbände – eine umfangreiche Ausbildung absolviert und eine staatliche Prüfung abgelegt.

Jäger und Förster sind fachlich qualifiziert , als Naturschützer motiviert und personell in der Lage, gemeinsam mit den Mitgliedern anderer Naturschutzverbände wirklich aussagekräftige und nahezu flächendeckende Bestandserhebungen durchzuführen.

Wenn die Aussagen der Roten Liste über Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen, glaubwürdig sein sollen, kann man auf die Mitarbeit von Jägern und Förstern nicht verzichten.